Familiensystem

Den eigenen Tod den stirbt man, doch mit dem Tod der Anderen muss man Leben.

Mascha Kaleko

 

Niemand hat ein Leben ohne Beziehungen gelebt. Es gibt Eltern, vielleicht Geschwister, Kinder, Großeltern, Enkel, Liebespartner, aktuelle und Expartner, verheiratet, verpartnert, geschäftlich verbunden, Kollegen, Nachbarn, enge Freunde, Bekannte und …
Am deutlichsten wird dies natürlich direkt in der Familie, im Familiensystem, wo sich meist alle untereinander kennen und Beziehungen haben. Viele Jahre war das System einigermaßen stabil. Es gab immer wieder Korrekturen und Anpassungen, aber jeder hatte seinen Platz, seine Rolle, Aufgabe und Funktion – und sei es die Funktion der Abwesenheit oder des schwarzen Schafes. Es ist wie ein Mobile, Jeder hängt an einem oder mehreren Fäden und als Ganzes ist es einigermaßen stabil in einem vielleicht mühsam erarbeiteten Gleichgewicht von erwünschter Nähe und aushaltbarer Distanz, erwünschter Distanz und aushaltbarer Nähe, von Geben und Nehmen oder …
Durch den Tod eines Familienmitgliedes entgleist das ganze System erst einmal und muss sich grundlegend neu ausrichten. Es ist wie beim Mobile – um in diesem Bild zu bleiben, wenn man ein Teil ganz herausnimmt, abschneidet von seinen Fäden. Neben dem persönlichen Erleben von Verlust und Gefühlen von Trauer bedeutet es für alle auch eine große Verunsicherung, weil sich das ganze System neu finden muss und anfangs noch unklar ist, wo der eigene Platz dann sein wird.

Da auch die Beziehung zu dem verstorbenen Mitglied unterschiedlich war, braucht es auch unterschiedliche Formen des Verabschiedens.
Als ein Beispiel: Vater, Mutter, 2 Kinder (6 und 14 Jahre), 4 Großeltern. Der Vater stirbt. Die Mutter trauert um die Liebe Ihres Lebens, die Kinder verlieren ihren Vater, gehen mit dem Tod jedoch ganz unterschiedlich um, da sie ihn altersgemäß unterschiedlich erfassen. Die Großmutter väterlicherseits, steht aber auch am Grab ihres Kindes und verliert das Vertrauen in das Leben, weil ihr Kind gestorben ist. Welche Art von Abschied braucht jetzt wer? Was hilft wem, mit der neuen Situation weiter zu leben? Welche Rolle können jetzt die jeweiligen Großeltern übernehmen?

Viele Fragen auf die es keine allgemeingültigen Antworten gibt, aber die Betroffenen wissen vielleicht, was sie brauchen für ihre eigene Art des Abschieds, wenn man sie dazu ermutigt. So wie der 6-jährige, der erst in diesem Moment wirklich begreift, was geschehen ist, als er dem Leichenwagen nachschaut und sagt. „Jetzt haben wir keine Mama mehr“.

Die Beziehungen zu Freunden und Wahlverwandten lassen sich vielleicht besser regeln, haben aber in Krisensituationen manchmal auch keinen Bestand und sind meist frei von den rechtlichen Implikationen wie Bestattungspflicht und Erbe. Die Erfahrung zeigt, dass Familien, auch wenn die Einzelnen im Alltag wenig miteinander zu tun hatten, in Krisensituationen oft zusammenstehen.