Grab als Ort

Wie sich die Zeiten ändern sieht man auch auf dem Friedhof. Früher waren Familiengräber fester Teil des familiären Bestandes. Jeder wusste, wenn es einmal soweit ist, werde ich auch hier bei meinen Vorfahren liegen. Heute gibt es diese Vorstellung eigentlich nicht mehr. Diese Vorstellung, für viele früher vielleicht tröstlich, löst heute in einer Zeit, in der Individualität von solch großer Bedeutung ist eher Ängste und Beklemmung aus.

Zudem leben viele Menschen nicht mehr in der Nähe ihres Elternhauses. Mobilität und die Erfordernisse eines modernen Erwerbslebens haben früher ortsfeste Familien an viele Orte verteilt und neue Lebensmittelpunkte mit eigenen Beziehungen haben sich gebildet. Die Beerdigung und das Grab sind dann auch meist dort und nicht am Ort der Herkunftsfamilie. Natürlich gibt es auch hier Ausnahmen, insbesondere im ländlichen Raum.

Die Überlebenden der beiden Kriege mussten oft viele Gräber pflegen und haben dies auch als große Belastung erlebt. „Ich will Euch nicht (mit Grabpflege) zur Last fallen. Beerdigt mich unter der grünen Wiese. Das ist doch allemal besser als ein ungepflegtes Grab.“ So entstanden auf den Friedhöfen große Flächen anonymer Gräber, wo in 80 cm Tiefe Urne neben Urne steht. Und oben sieht man immer wieder abgelegte Blumen, genau an der Stelle, wo die Urne vermutet wird. Friedhofsmitarbeiter räumen manchmal täglich die Blumen ab und bringen sie zur der dafür vorgesehenen Stelle, an der für alle dort Begrabenen Blumen abgelegt werden sollen.

Hier zeigt sich, dass es in diesen Fällen keine gute Entscheidung war anonym zu beerdigen. Viele Menschen brauchen einfach einen Ort, jenseits der Alltäglichkeit, den sie besuchen können, wenn sie ihre Verbundenheit zu dem Menschen spüren wollen, der gestorben ist. Es gibt andere, die nie ein Grab besuchen, da dies nicht der Ort ist, der für sie wichtig ist.

Dieses Bedürfnis einen festen Ort zu haben, gilt für die Bestattung unter Bäumen genauso, wie bei der Seebestattung, wo die Angehörigen eine Seekarte bekommen können auf der die Beisetzungsstelle verzeichnet ist und wohin Erinnerungsfahrten organisiert werden.

Ein Ort hilft vielen den Erinnerungen und den Gefühlen, die ja nach wie vor existent sind, einen Platz zu geben. „Gräber“ die keinen Ort haben, sind in Deutschland nicht erlaubt, in der Schweiz ist die Verstreuung im Wind oder im Bach jedoch möglich. Hier ist der Gedanke der Allgegenwart im Wind oder im Wasser tröstlich.

Auf jeden Fall sind die allermeisten Friedhöfe, abgegrenzt von den Alltäglichkeiten, gute Orte zur Besinnung, in Berlin oft Oasen der Ruhe im hektischen Getriebe des Alltags, die etwas bewahren: Es gibt eine Vergangenheit (die alten Gräber) und Veränderung ist nicht immer gleich die totale Umwälzung, sondern vollzieht sich nur langsam. Der Lauf der Jahreszeiten bringt Veränderung und im Zuge der neuen Belegung von Grabstellen, wieder mit einer Ruhezeit von 20 Jahren. Und über allem schwebt das Thema von Tod und Vergänglichkeit, Erinnerung an Vergangenes – Quellen von Traurigkeit und Inspiration zugleich.

Die Bestattungsgesetze verpflichten die Angehörigen zur Beisetzung auf einem Friedhof und geben für alle Gräber eine Mindestruhezeit an, meist 20-25 Jahre. Es gibt heute auch in Deutschland immer mehr Menschen, die andere Vorstellungen davon haben, wie sie mit der Urne umgehen möchten. Die Bestattungsgesetze in den Niederlanden, in der Schweiz und auch in Frankreich lassen hierbei sehr viel mehr Raum und auch in Deutschland löst sich der Friedhofszwang für die Beisetzung von Urnen immer mehr auf. Erste Veränderungen hat dazu das Land Bremen beschlossen.

Mehr dazu in einem Artikel im Tagesspiegel vom 16.2.2014 Friedhoefe sind unsterblich